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Sylvia Plath
(1932
- 1963)
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»Masken sind heutzutage an der Tagesordnung...« |
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Zitiermöglichkeiten
für den
nachfolgenden Text:
N.
Kohlhagen,
"Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Allitera
Verlag 2001, S. *-*, oder:
N. Kohlhagen,
"Sie schreiben wie ein Mann,
Madame!", Sammlung Luchterhand 1993, S. *-*, oder:
N. Kohlhagen,
"Sie schreiben wie ein Mann,
Madame!", Fischer Taschenbuch Frankfurt/M. 1983, S.
*-*. |
And I see myself,
fat, ridiculous, a
cut-paper shadow
Between the eye of the sun and the eyes of the tulips,
And 1 haue no face, 1 have wanted to efface myself
Und ich sehe mich,
flach, zum Lachen,
ein papierener Scherenschnittschatten
Zwischen dem Auge der Sonne und den Augen der Tulpen,
Und ich hab kein Gesicht, ich wollte gesichtslos werden.
(Aus: Tulpen. Deutsch
von Erich Fried)
Sie lächelt, nein: lacht auf
fast allen
ihren Fotos. Als blondlockiges kleines Mädchen strahlt Sylvia
Plath auf dem Schoß ihrer Mutter. Als Achtjährige steht sie
neben ihrem jüngeren Bruder am Strand mit lachendem Gesicht. Der
Teenager Sylvia, adrett frisiert, sitzt im Garten des elterlichen
Hauses in Wellesley, Massachusetts, und kann sich, so scheint es,
nicht fassen vor Lebensfreude. Die Jung-Reporterin Sylvia hat ein
aufmerksames Lächeln im Gesicht, während sie ihren
lnterviewpartnern lauscht. Die Studentin Sylvia, tiefgebräunt
mit hellblond gefärbtem Haar, beherrscht das »keep smiling«
perfekt. Überglücklich schmiegt sie sich, ein paar Jahre
später, als junge Ehefrau in den Arm ihres Mannes. Die
Achtundzwanzigjährige, gerade Mutter geworden, strahlt sie ihr
Baby an, das ihr Mann im Arm hält. Einmal allerdings kann sie
das Lächeln auf ihrem Gesicht nicht festhalten. Ein Foto aus dem
Jahr 1962 - sie ist noch nicht dreißig - zeigt sie mit ihren
zwei kleinen Kindern auf dem Schoß, und sie blickt in die
Kamera, als suche sie Zärtlichkeit und Wärme. »März 1962«
ist dieses Bild datiert. Im Februar 1963 beging die Dichterin
Sylvia Plath Selbstmord.
Nach ihrem Tod ist sie bei uns
durch drei
Bücher bekannt geworden: durch ihren Gedichtband »Ariel«, den
Roman »Die Glasglocke« und ihre »Briefe nach Hause 195~1963«.
1982 sind in den Vereinigten Staaten ihre »Tagebücher«
erschienen - herausgegeben von ihrem Ehemann, dem englischen
Lyriker Ted Hughes.
»Masken sind heutzutage an der
Tagesordnung, und das mindeste, was ich tun kann, ist die
Illusion zu pflegen, daß ich fröhlich, ausgeglichen und nicht
ängstlich bin«, notierte die Achtzehnjährige in ihr Tagebuch.
Wann begann Sylvia Plath sich
hinter einer
Maske zu verstecken? Und WAS verbarg sie hinter dieser Maske?
Vieles, was über ihr Leben Aufschluß geben könnte, wird die
Nachwelt niemals wissen. Tagebücher von ihr wurden vernichtet.
Das Manuskript eines Romans ist »verschwunden«. Briefe, die sie
an ihre Mutter schrieb, sind gekürzt und »bereinigt«
veröffentlicht worden. Ihre Mutter und der Ehemann, der den
Nachlaß verwaltet, sind dafür verantwortlich.
Trotzdem soll hier mit aller
Vorsicht
versucht werden, der Lyrikerin Sylvia Plath näherzukommen und
sie beim eigenen Wort zu nehmen. Ihre Eltern sind
deutsch-österreichischer Abstammung. Der Vater, ein gebürtiger
Ostpreuße, stirbt, als Sylvia acht Jahre alt ist. »Ich haßte
meine Mutter, als sie mir das sagte«, schreibt Sylvia in ihrem
Tagebuch. Sie beschäftigt sich noch Jahre später damit, daß
sie nie in ihrem Leben einen Mann, der »Vater« für sie war,
lieben konnte. Die Mutter will Sylvia und ihrem kleinen Bruder
Warren unnötige Aufregungen ersparen. Die Kinder nehmen nicht an
der Beerdigung teil. Sylvia muß stark darunter gelitten haben.
Im Sommer 1953, als die knapp Zwanzigjährige einen
Selbstmordversuch unternimmt, sucht sie vorher das Grab ihres
Vaters auf und: »Ich heulte meinen Verlust in den kalten
salzigen Regen.« Die Mutter hatte damals nicht geweint. Sie
hatte den Kindern erklärt, daß der Tod für den Vater
»gnädig« sei. Sylvia schluckte das. Sylvia bettelte
gleichzeitig: »Mami, heirate nie wieder - versprich mir das!«
Die Mutter hielt sich daran. »Sie opferte ihr Leben für mich.
Ein Opfer, das ich nicht wollte«, schreibt Sylvia Plath, 27
Jahre alt, in ihr Tagebuch. Aurelia Plath, die Mutter, ist
ungemein tüchtig und patent. Sich selbst versagt sie alles -
ihren beiden Kindern ermöglicht die Witwe alles. Es sind gute
Kinder. Mutter Plath beginnt, an einer High-School zu
unterrichten. »Grammy«, die Großmutter, betreut die Kinder,
und die haben es gut. Sie bekommen Musikunterricht und lernen
segeln und werden Pfadfinder und verbringen die Ferien in
Sommerlagern, während die Mutter sich nichts gönnt. Müssen
Sylvia und Warren nicht eines Tages dafür dankbar sein?
Sivvy - so wird sie daheim
genannt - hat
schon früh angefangen zu schreiben. Sie verfaßt Beiträge für
populäre Zeitschriften wie »Seventeen« und wagt sich an
Gedichte. Eines endet so:
Ich schreib allein
Weil eine Stimme in mir ist,
Die will nicht schweigen.
Lernen, sich anzupassen -
damit ist Sylvia
Plath ihre ganze Jugend hindurch beschäftigt. Um ihrer
ach-so-selbstlosen Mutter zu gefallen, spielt sie das
unkomplizierte, sonnige Kind und junge Mädchen, das alles fest
im Griff hat, wirklich alles: »Ich habe meinen Sex vernünftig
unter Kontrolle«, versichert die Neunzehnjährige ihrer Mutter.
Auch auf geistigem Gebiet wird sie zum Sich-Anpassen erzogen.
Eine Zeitschriften-Redakteurin hat ihr geraten, sich thematisch
und stilistisch dem jeweiligen Blatt, in dem sie veröffentlicht
werden wolle, anzugleichen. Es gelingt ihr schnell, den
jeweiligen Trend zu erkennen. Sie ahmt ihn nach - und hat Erfolg.
So wird sie schon früh abhängig von Komplimenten und Kritiken.
Die Stimme in ihr, »die nicht schweigen will«, sagt fortan nur
noch das, was gefällt. Damit hat sie Erfolg. Sie findet Gönner
und Förderer auf allen Gebieten. Sie gewinnt Stipendien und
Wettbewerbe. Während ihrer College-Zeit schreibt sie fast
täglich einen Brief an die Mutter. Ständig beteuert sie ihr,
wie glücklich sie diese Ausbildung macht, wie kameradschaftlich
alle Mädchen hier sind, wie anständig sich ihre »dates«
benehmen (»nur mal ein Kuß auf die Nasenspitze, Mami!«). Wer
in ihren »Briefen nach Hause« blättert, wird geradezu
eingedeckt mit heiteren, munteren kleinen Alltagserlebnissen.
Einmal jedoch berichtet sie ihrer Mutter von einer Freundin, die
»immer strahlender und künstlicher« geworden sei in der
letzten Zeit. Sylvia schreibt, sie mache sich große Sorgen um
dieses Mädchen. Ihre Freundin habe nämlich Selbstmordgedanken.
Die Mutter der Freundin habe dauernd gesagt, daß das albern sei
und daß sie doch alles schaffen könne. »Wenn Du ihre Mutter
wärst, dann wäre sie ganz in Ordnung«, endet Sylvia ihren
Brief. Sylvias Mutter ist nie auf den Gedanken gekommen, daß
ihre Tochter sich hier in verschlüsselter Form ihr mitteilen
wollte. »In Wirklichkeit war das betreffende Mädchen nicht
selbstmordgefährdet«, ist der Kommentar von Aurelia Plath zu
diesem Brief, den sie mit fast 400 anderen nach dem Tod Sylvias
in Buchform herausgab. Noch eine Stelle aus Sylvias Briefen
zeigt, wie wenig die Mutter ihre Tochter je verstand. Da hat
Sylvia wirklich einmal gewagt, sich ohne Maske zu zeigen und ganz
verzweifelt geschrieben, daß sie in Panik ist: »Wirklich, ich
habe nur noch Panik, fürchterliche Panik. . . Ach, ich fühle
mich so einsam, nutzlos und gefangen!«
Auch diesen Brief hat Aurelia
Plath
kommentiert. So kommentiert:
»Hier in diesem Brief zeigte
sich zum
erstenmal ihre Neigung, gewisse Situationen maßlos zu
übertreiben.«
Sylvia Plath hat sich kurz
darauf »wieder
gefangen«. »Sei glücklich! Glücklich!« so steht in ihrem
Tagebuch, habe die Mutter ihr als Wunsch mit auf den Lebensweg
gegeben. Okay. Sylvia ist glücklich. »Kreativ schreiben« ist
ihr Berufsziel. Sie entwirft Pläne und Programme, wie sie es
verwirklichen kann. Sie lernt eine Schriftstellerin namens Val
Gendron kennen, von der sie den Rat bekommt, täglich vier Seiten
zu schreiben. Sie befolgt den Tip. Und schickt weiterhin
Geschichten und Gedichte an Zeitungen und Zeitschriften, alles
säuberlich abgetippt und jeweils mit einem adressierten und
frankierten Rückumschlag versehen. Über die Zu- und Absagen,
die sie bekommt, führt sie eine Liste. In ihrem Tagebuch
beschäftigt sie sich währenddessen sehr intensiv mit der Frage,
wie sich künstlerische Arbeit und »normales Leben« miteinander
vereinbaren lassen. Noch kann sie sich nicht an die Idee
gewöhnen, irgendwann einmal zu heiraten und Kinder zu haben.
Andererseits, so überlegt sie weiter, kann es doch nicht richtig
sein, sich gegen ein normales und konventionelles Leben zu
entscheiden. Kinder sind eine »Kraftquelle«, das hat sie oft
gehört, daran mag doch viel Wahres sein. Vielleicht wird sie
erst dann, wenn sie verheiratet und Mutter ist, ihre wirkliche
Ausdrucksform als Schriftstellerin und Dichterin finden? Oder
kann es sein, daß sie in der Ehe ganz »in einem Mann aufgeht«
und das Bedürfnis, zu schreiben, verliert? Seitenlang quält sie
sich während ihrer College-Jahre im Tagebuch mit solchen Fragen.
»Ich sehne mich nach Dingen, die mich am Ende zerstören
werden«, notiert sie einmal 1950. Und: »Warum kann ich nicht
verschiedene Leben anprobieren wie Kleider, um zu sehen, was mir
am besten steht und zu mir paßt?« Sie vertraut solche Gedanken
nur ihrem Tagebuch an. Nach außen ist sie so perfekt und
gradlinig. Sie hat einen boyfriend, den Mami billigt... Er will
Arzt werden, das sind gute Zukunftschancen für sie. Aber: Als er
sie fragt, ob sie »seine Frau« werden will, kommt es zu
folgender Szene (Sylvia Plath hat sie später in ihrem Roman
»Die Glasglocke« beschrieben): Sie verspürt den Zwang, lachen
zu müssen. »Ich werde mein ganzes Leben lang zwischen zwei sich
ausschließenden Dingen hin und her fliegen«, sagt sie. Und
lehnt den Heiratsantrag ab.
Mit 20 anderen
»Spitzenanwärterinnen«
vom Smith College hat sich Sylvia Plath 1953 um eine
Redakteursstelle bei der Zeitschrift »Mademoiselle« beworben.
Sivvy, die die Pflicht hat, glücklich und erfolgreich zu sein,
wird auserwählt. Sie kann einen Monat in New York verbringen,
Zeitungsluft schnuppern und interessante Leute kennenlernen.
»Schmerzen, Partys und Arbeit« steht in ihrem Tagebuch.
»Wunderschön... lerne wahnsinnig viel... kriege enorme
Bildung!« schreibt sie nach Hause. Als perfekt geschminkte und
frisierte Jung-Reporterin wird sie fotografiert. Einmal aber
bricht sie in Tränen aus. Sie soll, wie alle Gastredakteurinnen
der Zeitschrift, für ein Bild posieren, auf dem symbolisch
gezeigt wird, wie sie sich ihren späteren Beruf vorstellt.
»Dichter«, sagt sie, wolle sie werden. Nach langen
Überlegungen gibt man ihr eine Papierrose in die Hand und sagt:
»Zeigen Sie uns, wie glücklich es Sie macht, ein Gedicht zu
schreiben!« In Sylvia Plath' autobiographischem Roman »Die
Glasglocke« heißt es: »Wie der Mund einer Bauchrednerpuppe
begann sich mein eigener Mund endlich gehorsam nach oben zu
verziehen.
>He<,
protestierte der Fotograf in
plötzlicher Ahnung, >Sie sehen ja aus, als ob Sie gleich zu
heulen anfangen.< Ich konnte nicht mehr.«
Sie kann nicht mehr. Als sie
nach diesem
»Gast-Spiel« im Sommer 1953 nach Wellesley, Massachusetts, zu
ihrer Mutter zurückkehrt, ist sie im wahrsten Sinne des Wortes
»am Ende«. Sie erfährt, daß sie für einen »creative
writing«-Kurs bei Frank O'Connor nicht angenommen worden ist.
Dieser Harvard-Ferienkurs, um den sie sich bewarb, gilt als
besonders gut und wichtig. Man hat sie abgelehnt. »Dann werde
ich jetzt kochen lernen und einkaufen gehen und versuchen, es
Mutter schön zu machen. Das hat einen Sinn in sich«, belügt
sie sich selbst in ihrem Tagebuch. »Alle anderen sind entweder
verheiratet oder berufstätig und glücklich und kreativ... und
ich bin krank und lethargisch.« Das sind ebenfalls Sätze aus
ihrem Tagebuch in jenem Sommer. »So werden Sie nicht
weiterkommen. So werden Sie nicht weiterkommen. So werden Sie
nicht weiterkommen.« Mit dieser Ermahnung, die ihr ständig im
Kopf herumschwirrt, hält Sylvia Plath den Sommer 1953 in der
»Glasglocke« fest. Sie kann nicht weiter. Eines Morgens, als
sie allein in der Wohnung ist, nimmt sie 50 Schlaftabletten und
verkriecht sich in einem dunklen, versteckten Hohlraum
im Keller ihres Hauses. Ihrer
Mutter hat
sie die Nachricht hinterlassen, daß sie einen langen Spaziergang
unternehmen und vielleicht einen Tag lang weg sein würde. Was
anschließend geschah, läßt sich im Roman »Die Glasglocke«
nachlesen. Sylvia wurde nach drei Tagen von ihrem Bruder gefunden
und nach monatelangen Elektroschock- und Insulinbehandlungen von
Ärzten und Psychiatern wieder »in Ordnung gebracht«. Eine
Therapeutin, Dr. Ruth Beuscher, spielt in dieser Zeit - und dann
noch einmal fünf Jahre später - eine wichtige Rolle für
Sylvia. Zu ihr sagt sie über ihre Mutter: »Ich hasse sie.« Die
Ärztin antwortet darauf ruhig:
»Ja, das tun Sie wohl.« Fünf
Jahre
darauf, so geht aus Sylvia Plath' Tagebüchern hervor, hat jene
Therapeutin ihr in einer Sitzung »die Erlaubnis gegeben, meine
Mutter zu hassen«. Sylvia Plath fährt fort: »Besser als
Elektroschock-Behandlung: >Ich gebe Ihnen die Erlaubnis, Ihre
Mutter zu hassen.<« Blondiert und braungebrannt und
bildschön kehrt Sylvia 1954 in ihr College zurück und setzt
ihre Erfolgsserie fort. Ihr »sonniger Optimismus« - so die
Mutter - »brach wieder durch«. Sie gewann wieder Preise und
verkaufte Gedichte. Sie bekam ein Stipendium (Fulbright für das
Newham College in Cambridge. Kurz zuvor wurde eines ihrer
Gedichte preisgekrönt, und ein Mitglied der Jury urteilte: »Sie
ist eine Lyrikerin. Ich bin überzeugt davon, daß sie weiter
Gedichte schreiben wird, und ich möchte wetten, daß diese
Gedichte immer besser werden.« Sylvia: »Ich bin selig!« Wieder
stellt sie für ihre Mutter eine Liste auf mit allen
Auszeichnungen für schriftstellerische Leistungen, die sie
bekommen hat. Sie reist im Herbst 1955 mit ihrem
Fulbright-Stipendium nach England. »Ich möchte ein Leben voller
Konflikte leben«, äußert sie sich in ihrem Tagebuch, »Kinder,
Sonette, Liebe und schmutziges Geschirr - alles miteinander in
Einklang bringen.«
Fasziniert ist sie, als sie in
ihrem ersten
Cambridge-Semester einem »wirklichen Dichter« begegnet: Der
englische Lyriker Ted Hughes, drei Jahre älter als Sylvia,
interessiert sich für sie. Mein Gott, welch ein Leben... Sylvia
malt sich aus, wie sie mit ihm verheiratet sein wird. Sie werden
beide schreiben und einander fördern. Sie werden Kinder
bekommen, zauberhafte, einmalige Babys. Sie werden mit brillanten
Zeitgenossen verkehren, endlos miteinander diskutieren über ihre
Texte, Gin trinken in der gemütlich eingerichteten Küche, wenn
sie ein raffiniertes kleines Essen zu sich genommen haben. Sylvia
wird Kochbücher studieren »wie Romane«. Sie wird sich einen
exakten Plan aufstellen, damit alles zu seiner Zeit funktioniert.
Es wird einen Bügel-Tag geben und einen Markt-Einkaufstag, auch
nähen wird sie lernen. Von ihrer Mutter läßt sie sich den Band
»Freude am Kochen« besorgen. Ihre Mutter ist auch als einzige
Verwandte dabei, als sie im Juni 1956 in London den Poeten Hughes
heiratet. Gibt es eigentlich tatsächlich einen siebenten Himmel?
Falls ja: Sylvia lebt nun in ihm. Sie setzt ihre Studien fort und
arbeitet nebenbei als Fotomodell und Reporterin für die
College-Zeitschrift >Varsity<. Ted, ihr Mann,
veröffentlicht seinen ersten Lyrikband. »Er ist ein Genie, und
ich bin seine Frau!« jubelt Sylvia. »Welche Frau hat schon
solchen Anteil an der kostbaren Karriere ihres Mannes wie ich?«
Sie nimmt ihm die lästigen Schreibmaschine-Arbeiten ab. Ihr
eigenes Arbeiten (»flache Texte damals«, urteilt Ted Huglies)
soll mit seinem verbunden werden. Ihr schwebt vor, als Pseudonym
den Namen »Sylvan Hughes« zu wählen. In welch bedrohliche
Situation sie rutscht, ahnt sie mitunter. Neben ihrer hektischen
Bemühung, sich in Kochbücher zu vertiefen, liest sie Virginia
Woolf. »Ich fühle, daß mein Leben irgendwie mit ihr verbunden
ist«, trägt sie in ihr Tagebuch ein. Das junge Dichter-Paar
leidet unter chronischem Geldmangel. Sylvia bietet sich die
Chance, nach zwei Cambridge-Jahren eine feste Anstellung als
Lehrerin am amerikanischen Smith College, wo sie einst studierte,
zu erhalten. Sie haßt diese Tätigkeit. Das merkt sie recht
schnell. Das schreibt sie auch in ihr Tagebuch. Wie gesagt, einen
großen Teil davon hat jedoch ihr Mann »gesäubert«. Allein
fünfmal taucht in Sylvias Tagebuchnotizen vom Mai 1958 (damals
unterrichtete sie Englisch im amerikanischen Smith College) nach
ein paar Pünktchen das Wort »omission« auf: Auslassung.
Sylvia Plath spürt: »Die
Vorteile des
akademischen Lebens - Sicherheit und Ansehen - sehe ich nur allzu
klar, aber sie sind der Tod des Schreibens.« Formulierungen wie
»zu abhängig von Ted« tauchen im Tagebuch auf. »Ich habe kein
Leben mehr getrennt von seinem... Ich darf mich nicht von ihm
formen lassen... Es ist eine höllische Verantwortung, ich selbst
zu sein.« Im Winter 1958 sucht sie erneut ihre Therapeutin auf.
Dies ist der Augenblick, in dem sie den vorher schon erwähnten
Satz zu hören bekommt: »Ich gebe Ihnen die Erlaubnis, Ihre
Mutter zu hassen.« Sylvia Plath wagt nun tatsächlich etwas für
sie Ungewöhnliches. Sie macht ganz radikal Schluß mit der
akademischen Karriere, von der ihre Mutter und viele ihrer
Gönner »zu ihrem Besten« immer noch träumen. Sie entscheidet
sich für ein Leben als freie Schriftstellerin:
»Ich habe meinen eigenen
Traum, meinen,
und nicht den amerikanischen Traum.«
Im Dezember 1959 gehen die
Hugheses, zwei
freie Schriftsteller, nach England zurück - Sylvia ist
schwanger. Denn den Traum, »Babys, viele, viele Babys« zu
haben, den hat sie nicht aufgegeben. Ihre Tochter Frieda wird im
April 1960 in London geboren. Sylvia Plath' erster Gedichtband
(»The Colossus«) erscheint im Oktober 1960 in London. Sylvia,
Dichterin und junge Mutter, was schreibt sie in ihr Tagebuch?
»Ich finde, daß ich zu allererst dafür zu sorgen habe, daß
Ted Ruhe und Frieden hat. Dann bin ich glücklich. Und mache mir
nichts daraus, wenn ich erst ein paar Wochen später zum
Schreiben komme.« (Mai 1960> Drei Monate später: »Ich
lechze förmlich nach einem eigenen Arbeitszimmer außer
Hörweite des Kinderzimmers, wo ich ein paar Stunden am Tag mit
meinen Gedanken allein sein kann. Ich bin fest davon überzeugt,
daß ich einige gute Gedichte schreiben könnte, wenn ich einen
gewissen Zeitraum zur Verfügung hätte, in dem ich ungestört
bin.«
Zwei Jahre später schaffte sie
sich diesen
»gewissen Zeitraum«, und nun entstanden Gedichte, intensive
Verse: Dichtung. »Ariel« heißt der Gedichtband, der ihr heute
den Ruhm, »eine große, früh aus dem Leben gegangene
Dichterin« zu sein, eingebracht hat. Sylvia Plath bekam im
Januar 1962 ihr zweites Kind, einen Sohn. Sie wollte das Kind.
Sie wollte immer noch »Babys, viele Babys«. Sie schrieb,
während sie mit dem zweiten Kind schwanger war, den
autobiographischen Roman »Die Glasglocke«. Sie zog in der Zeit
mit ihrem Mann aufs Land, nach Devon, und baute sich eine
unübertreffliche Idylle auf. Die Hugheses hatten ein Bauernhaus
mit Fliederbüschen und Erdbeerbeeten und Goldregen und 27
Apfelbäumen und einer eigenen Bienenzucht, Hühner sollten
demnächst auch noch angeschafft werden. »Mami«, sagt Sylvia
Plath im Sommer 1962 zu ihrer Mutter, »ich habe alles im Leben,
was ich mir je gewünscht habe - einen großartigen Ehemann, zwei
anbetungswürdige Kinder, ein schönes Heim und mein Schreiben.«
Während sie das sagt, weiß
sie, daß ihr
Mann »eine andere« liebt. Sie werden sich trennen. Sylvia wird
mit den Kindern nach London ziehen und »neu anfangen«; Jeden
Morgen steht sie um vier Uhr auf und schreibt. »Meine neuen
Gedichte haben eines gemeinsam, sie wurden alle gegen vier Uhr
morgens geschrieben - in der noch blauen, fast ewig währenden
Stunde vor dem Kindergeschrei.« Das wollte Sylvia Plath im
Vorspann einer Lesung für den BBC sagen. In diesen Wochen im
Winter 1962/63, als sie fieberhaft arbeitete, entstanden ihre
besten Gedichte. Ihr Roman »Die Glasglocke« erschien im Januar
1963 unter dem Pseudonym »Victoria Lucas«. Sylvia wollte nicht,
daß ihre Mutter ihn las. »Das ist eine Brotarbeit und bloß zur
Übung«, schrieb sie nach Amerika. »Sie blieb unbarmherzig
vergnügt und energisch«, beobachtete der englische
Literaturkritiker Alvarez im Dezember 1962. Daß sie »ein
strahlendes Lächeln« und einen »offenen amerikanischen
Ausdruck« habe, teilte eine Freundin der Familie Plath in einem
Brief vom 19. Januar 1963 mit. Am 11. Februar 1963 drehte Sylvia
Plath den Gashahn auf.
Der Arzt, der sie behandelte,
hatte sich
bemüht, für Sylvia einen Platz in einer Klinik zu finden. Mit
einer Psychiaterin war ein Termin vereinbart für den 12. Februar
1963 (ein Tag nach dem Selbstmord). Ihr Arzt glaubte, sie könne
den Kampf gegen die selbstmörderische Depression gewinnen; die
Anwesenheit der Kinder würde ihr über das Schlimmste
hinweghelfen.
Freunde, die in den neuesten
Biographien
über Sylvia Plath zu Wort kommen, beschreiben sie als
»schwierig«, betonen ihre Besitzansprüche Ted Hughes
gegenüber (»Sie wollte ihn mit Haut und Haaren«) und weisen
immer wieder darauf hin, daß sie nach außen das Bild einer
rundherum tüchtigen Frau bot. Intelligent. Ehrgeizig. Energisch.
Praktisch.
Die Lyrikerin und
Literaturwissenschaftlerin Anne Stevenson, deren Plath-Biographie
von Sylvias Familie unterstützt wurde, legt die Vermutung nahe,
Sylvia Plath sei Opfer einer psychischen Erkrankung gewesen. Sie
zitiert Lucas Myers, der Sylvia und Ted in Cambridge kennenlernte
und einer ihrer engsten Freunde wurde. Myers ist davon
überzeugt, daß Sylvia in ihren letzten Jahren unbedingt eine
gute, aber unbeteiligte Freundin gebraucht habe. Eine Freundin,
die ihre hätte raten müssen: »Laß Ted Luft zum Atmen, dann
wird alles wieder gut.« Lucas Myers beendet seine Uberlegungen
so: »Aber dieser Gedanke war müßig. Sylvia besaß um diese
Zeit die technische Meisterschaft, mit der sie Gedichte schrieb,
die bleiben. Aber der Treibstoff, der ihr zur Verfügung stand,
um diese Gedichte hervorzubringen, war der gleiche Stoff, der
ihren Selbstmord herbeiführte. Auf Kosten ihres Lebens und auf
Kosten derer, die sie überlebten, erreichte sie zweifellos, was
sie sich am meisten vom Leben wünschte: einen festen Platz in
der Geschichte der englischen Dichtung des zwanzigsten
Jahrhunderts.«
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copyright 1997 by Norgard Kohlhagen
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