Bettine von Arnim (1785 - 1859) |
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»Ich selber zu bleiben, das sei meines Lebens Gewinn!« |
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Zitiermöglichkeiten für den
nachfolgenden Text: .N. Kohlhagen, "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Allitera Verlag 2001, S. 20-27, oder: N. Kohlhagen, "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Sammlung Luchterhand 1993, S. 21-28, oder: N. Kohlhagen, "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Fischer Taschenbuch Frankfurt/M. 1983, S. 19-28. |
Drei junge Mädchen, umarmt von ihrer Großmutter, stehen vor einem Spiegel. »Ich erkannte alle, aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden Wangen, mit schwarzem, fein gekräuseltem Haar; ich kenne sie nicht, aber mein Herz schlägt ihr entgegen, ein solches Gesicht habe ich schon im Traum geliebt... diesem Wesen muß ich nachgehen...« So schildert Bettine Brentano den Augenblick, in dem sie sich als Dreizehnjährige in einem Spiegel betrachtet. Sie hat mit ihren beiden Schwestern bis zu diesem Zeitpunkt im Ursulinenkloster in Fritzlar gelebt, wo es, so berichtet sie, keinen Spiegel gegeben habe. Jetzt also begegnet sie sich selbst zum erstenmal. Bettine Brentano, das siebente von zwölf Kindern, ist nach dem Tod beider Eltern von ihrer Großmutter in Offenbach aufgenommen worden: von Sophie La Roche, der Frau, die als erste deutsche Schriftstellerin einen Briefroman veröffentlichte: »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«. Die selbstbewußte alte Dame, die von nun an Bettines Erziehung überwacht, ist befreundet mit vielen Literaten der damaligen Zeit. Eines Tages Beispiel läutet ein Fremder an der »Grillenhütte«, wie Bettines Großmutter ihr Haus nennt. Bettine öffnet, wird mit einem Kuß begrüßt - und antwortet dem Fremden mit einer schallenden Ohrfeige. Dann erst tritt die Großmutter auf, die höchst erfreut ruft: »Ist es möglich? Herder, mein Herder! Daß euer Weg euch zu dieser Grillentür führt? Seid tausendmal umarmt!« Merkt Bettine, wen sie soeben geohrfeigt hat? Sie merkt sich das Erlebnis. Sie schreibt es später auf, schreibt das auf, was für sie wichtig gewesen ist. Der berühmte Dichter und Philosoph Johann Gottfried Herder hat nämlich beim Abschied die Hand auf ihren Kopf gelegt und gesagt: »Diese da scheint sehr selbständig, wenn Gott ihr diese Gabe für ein Glück zugeteilt hat, so möge sie sich ihrer ungefährdet bedienen, daß alle sich ihrem kühnen Willen fügen und niemand ihren Sinn zu brechen gedenke.« Natürlich ist die junge Bettine davon beeindruckt. Aber nicht nur davon. Alles, was um sie herum geschieht, formt sie um zu ihrem eigenen Erleben. Sie will sich selbst finden und sich selbst verstehen lernen, sie will ihrer eigenen Stimme folgen, sich von niemand etwas vorschreiben lassen. Das sind unerhörte Gedanken zu einer Zeit, in der junge Mädchen nach diesem Grundsatz erzogen werden: »Es muß sich die ganze Erziehung der Frauen im Hinblick auf die Männer vollziehen.« Bettines Großmutter allerdings hält sich nicht an solche Regeln. Sie bringt das junge Mädchen dazu, Mirabeau zu lesen und Latein zu lernen. Und als Bettine eines Tages einen sehr ungewöhnlichen Berufswunsch äußert - »Könnte ich denn nicht auch ein Wolkenschwimmer werden?« -, findet die Großmutter das zwar »wunderlich«, aber halt typisch Bettine. Von ihren Geschwistern wird sie »der Hauskobold« genannt; diese Rolle gibt ihr Narrenfreiheit. Einer ihrer Brüder, der sieben Jahre ältere Clemens, macht die kleine Schwester zu seiner Vertrauten. Clemens Brentano, Student und zukünftiger Dichter, beschäftigt sich mit den Gedanken und Utopien der Jenaer Romantik. In Gesprächen und vor allem in vielen Briefen berichtet er Bettine darüber. Und noch ein Einfluß prägt die Heranwachsende: ihre Freundschaft zu der Dichterin Karoline von Günderrode. Die Günderrode lebt in einem Damenstift in Frankfurt. Gleich beim ersten Kennenlernen ist Bettine von der um fünf Jahre Älteren fasziniert. Wann immer es möglich ist, besucht sie sie in ihrem Stiftszimmer oder schreibt ihr seitenlange Briefe. Geschichte, Mythologie und Kunst, das sind Themen; mit denen die beiden Freundinnen sich auseinandersetzen. Bälle, Modeneuheiten, Rendezvous - für solche Dinge hat Bettine nicht das geringste Interesse, und das schreibt sie auch unbekümmert an ihren großen Bruder. Clemens reagiert mit wachsender Besorgnis. Treibt Bettine es nicht gar zu toll? Bei einem großen Ball hat sie sich in der Garderobe versteckt und ist dort eingeschlafen? Das kann man nicht tolerieren. Und neuerdings hat sie gar Freundschaft geschlossen mit einem Judenmädel namens »Veilchen«, dem sie Gedichte vorliest? Das ist doch kein Umgang, da muß sofort etwas unternommen werden. Clemens mahnt, droht, rügt; doch Bettine, so sehr sie den Bruder auch vergöttert, wehrt sich gegen seine Bevormundung. »Über meine Neigungen kannst Du nicht disponieren!« schreibt sie ihm zurück. Und: »Ich selber zu bleiben, das sei meines Lebens Gewinn, und sonst gar nichts will ich von irdischen Glücksgütern!« Als Clemens schließlich ihr einen Mann wünscht, reißt ihr die Geduld: »Ich weiß, was ich bedarf! Ich bedarf, daß ich meine Freiheit behalte!« Mag man sie verstiegen, närrisch, mondsüchtig nennen, ihr ist es einerlei.
Die einundzwanzigjährige Bettine findet im Haus ihrer Großmutter Briefe, die Goethe in den Jahren 1772-1776 an Sophie La Roche geschrieben hat. Bettines Neugier ist geweckt. Was erfährt sie da: Goethe ist in ihre Mutter, als die noch ein junges Mädchen war, verliebt gewesen? Bettine verehrt ihn, diesen großen Dichter, und nun scheint er ihr plötzlich näher gerückt. Lebt nicht seine Mutter, die Frau Rat Goethe, in Frankfurt? Sie, Bettine, wird Goethes Mutter kennenlernen. Das ist ihr fester Entschluß, und daran kann niemand sie hindern. »Ich habe mir statt Deiner die Rätin Goethe zur Freundin gewählt«, schreibt Bettine im Juni 1806 an ihre Freundin Karoline. Woran ist die Freundschaft der beiden Frauen zerbrochen? Vermutlich trug der Philologe und Historiker Georg Friedrich Creuzer dazu bei, der sich 1804 in die Günderrode verliebte. Seinetwegen erdolchte sich schließlich Karoline von Günderrode in Winkel am Rhein am 25. Juli 1806- zu einem Zeitpunkt also, wo Bettine im Haus der Frau Rat Goethe bereits ein ständiger Gast ist. Ja, sie hat die Aufmerksamkeit, mehr noch: Zuneigung und Vertrauen von Goethes Mutter errungen. Dennoch trifft es sie tief, als sie vom Selbstmord ihrer Freundin erfährt: »Unser Zusammenleben war schön; es war die erste Epoche, in der ich mich gewahr ward... Bei ihr lernte ich die ersten Bücher mit Verstand lesen... Ich werde den Schmerz in meinem Leben mit mir führen.« Jahrzehnte später, wenn Bettine als Schriftstellerin an die Öffentlichkeit tritt, werden wir in ihren Werken all den Personen wieder begegnen, die in ihrer Jugend wichtig für sie waren. Der Bruder Clemens. Die Freundin Karoline. Die Rätin Goethe. Und schließlich er selbst: der von Bettine verehrte, angebetete Johann Wolfgang von Goethe. Noch kennt sie ihn nicht persönlich. Doch sie hört fast täglich Neues über ihn. Sie lauscht den Erzählungen seiner Mutter, die aus Wolfgangs Kindheit und Jugend berichtet. In ihrem Schreibebuch hält sie möglichst wortgetreu fest, was sie zu hören bekommt. Sie hütet ihre Aufzeichnungen wie einen Schatz. »Liebe - liebe Tochter! Nenne mich ins künftige mit dem mir so teuren Namen Mutter - und Du verdienst ihn so sehr, so ganz und gar - mein Sohn sei Dein inniggeliebter Freund - der Dich gewiß liebt und stolz auf Deine Freundschaft ist...« Das steht in einem Brief, den die Frau Rat in Frankfurt nach einem Jahr Bekanntschaft an Bettine schreibt. Mittlerweile hat Bettine den Geheimrat Goethe in Weimar besucht - und ihm »sehr gefallen«. Es kommt in den nächsten Jahren zu mehreren Begegnungen Bettines mit Goethe. Der Briefwechsel, den sie von nun an mit ihm führt (ja, sie führt ihn in erster Linie, denn er schreibt nicht gerade häufig zurück, und meistens sehr karg>, dieser Briefwechsel also wird später die Grundlage ihres ersten dichterischen Werkes bilden. Ein Satz sei hier nur erwähnt, mit dem Goethe in einem Brief Bettines Wesen im Kern erkennt: »Eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder schaffst oder nimmst.« Das schreibt er an die Fünfundzwanzigjährige. Kurz darauf bittet er sie, ihm »Märchen und Anekdoten« aus seiner Kindheit aufzuschreiben. Denn er arbeitet an seinen »Bekenntnissen«. Da Bettine die letzten beiden Jahre mit seiner Mutter verbracht habe (sie starb 1808), könne sie ihm doch sicher aus dem Gedächtnis noch vieles mitteilen. Bettine läßt sich nicht lange bitten. Viele Szenen und Erinnerungen, die in Goethes »Dichtung und Wahrheit« auftauchen, hat Bettine ihm berichtet. »Fahre fort, so lieb und anmutig zu sein!« ermuntert er sie hin und wieder.
Sie ist, wie schon gesagt, inzwischen fünfundzwanzig Jahre alt. Andere Frauen in diesem Alter sind längst verheiratet. Sie aber hat sich bis jetzt energisch dagegen gesträubt. Achim von Arnim, Dichter und Freund ihres Bruders Clemens, bemüht sich schon längere Zeit um sie. Übermütig beschließen die beiden eine heimliche Hochzeit, eine, die einen »poetischen Zauber« haben soll. Tatsächlich lassen sie sich, ohne Verwandte und Bekannte zu informieren, im Zimmer eines 8ojährigen Predigers trauen. Bettine, die bei ihrer Schwester Gunda und dem Schwager Savigny wohnt, schmückt ihr Zimmer mit Rosen, Jasmin und Myrten und amüsiert sich, daß der frisch mit ihr verheiratete Arnim in der Hochzeitsnacht heimlich zu ihr schleichen muß. Erst Tage später »gestehen« Bettine und Achim von Arnim ihre Hochzeit.
Bettine, jetzt also adelig, Ehefrau, bald auch Mutter - hat sie sich verändert? »Ich wohne hier wie im Paradies«, schreibt sie zwei Monate nach der Hochzeit an Goethe aus Berlin, wo sie jetzt lebt. Vorübergehend scheint es so, als genüge ihr ein »kleines Glück«. Jenes Glück, in dem Frauen, wie es heißt, »ihre Erfüllung finden«. Bettine von Arnim ist zwanzig Jahre verheiratet gewesen und siebenmal Mutter geworden. Ein zwei Bände umfassender Briefwechsel zwischen ihr und ihrem Mann gibt ein deutliches Bild davon, wie aus dieser Ehe, die mit »poetischem Zauber« begann, Alltag wurde. Bettine, die Gespräche, Menschen, Anregungen brauchte, ging immer wieder für Monate nach Berlin, während ihr Mann sein Gut in Wiepersdorf verwaltete. Bettine führt den Haushalt selbst. Sie lernt weben und Kuchen backen und Pfeffergurken einlegen und Fliedermus kochen. Die Kinder haben Fieber, Krämpfe, Ausschlag, Keuchhusten, Zahnschmerzen, und Bettine wacht nächtelang an ihren Betten. »Arm und Beine müde, die Augen voll Schlaf, die Kehle voll Wiegenlieder, werde ich selbst zum Kind, das sich wundert, in dieser geheimnisvollen Welt zu sein« - so beschreibt sie sich, zweiundvierzig Jahre alt, nach der Geburt ihres letzten Kindes in einem Brief an ihre Schwester Gunda. Ein paar Jahre vorher hat sie sich bei ihrem Mann entschuldigt: »Lange Briefe kann ich Dir nicht schreiben, denn das Geschrei der Kinder und Müdigkeit halten mich ab.« Zwanzig Jahre Eheleben und Mutterpflichten: »Als Schriftstellerin ist sie in diesen zwanzig Jahren nicht hervorgetreten«, bemerkt der Dichter Rudolf Alexander Schröder in seiner Einleitung zu »Achim und Bettina in ihren Briefen«. Dem »Warum« ist er nicht nachgegangen.
Im Januar 1831 stirbt Achim von Arnim, ein paar Tage vor seinem 50. Geburtstag. Im Hochsommer dieses Jahres bricht in Berlin die Cholera aus. Während die Reichen fluchtartig die Stadt verlassen, besucht Bettine das Berliner Armenviertel »Vogtland« (über dessen Zustände sie im Anhang ihres »Königsbuches« später berichtet); sie sorgt für Kleider, Arznei und ärztliche Hilfe. Nein, nie könnte sie »an einem Unglück teilnehmen«, sie will »die Dornen aus dem Pfad reißen«. In einer Phase ihres Lebens, die gemeinhin als »Wechseljahre« bezeichnet wird, baut sie sich eine neue Laufbahn auf. Sie ist künstlerisch produktiv und politisch engagiert. Unbeirrt von äußeren Einflüssen, tastet sie sich zu ihrer eigenen Arbeit als Schriftstellerin vor. Nach dem Tod ihres Mannes kümmert sie sich gleichzeitig um die Herausgabe seines und ihres Werkes. »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde - so ist der Titel meines Buches«, schreibt Bettine 1834 an den Fürsten Pückler. »Ach, es ist so zierlich, so unschuldig, so feurig, so bescheiden, so kühn, so naiv, so inspiriert, wie sollte das nicht erfreuen!« Mit diesem letzten Satz freilich hat sie sich geirrt. Durchaus nicht jeder ihrer Leser reagiert erfreut. Der große Bruder Clemens beispielsweise, der vor Erscheinen die ersten vier Bogen gelesen hat, tadelt (wieder einmal...) die Schwester. Da hat Bettine doch tatsächlich beschrieben, wie sie als junges Mädchen auf Goethes Schoß saß. Clemens fürchtet einen Skandal: »Wird dem Ganzen dadurch irgendein Nutzen gebracht, daß alle Menschen in Europa wissen, daß Du nicht wohlerzogen auf dem Sofa sitzen kannst und Dich übel erzogen auf eines Mannes Schoß setzest?... Mich ängstigen Deine Kinder, die Söhne in der Fremde, in ordentlicher Stellung, gezwungen, die Ehre der Familie zu erhalten, können durch irgendeine Schmähung... gezwungen werden, in Händel und Duelle zu geraten, die Töchter können in schiefe Richtung geraten oder die Achtung für Dich verlieren...« Hören wir Bettines Antwort darauf: »Lieber Clemente... Daß ich zwar auf Deine gute Meinung alle Rücksichten nehme, nicht aber auf Deine Ansichten Rücksicht nehmen kann, das wirst Du einsehen, wenn Du das Ganze haben wirst. Daß dieses Buch etwas Außerordentliches ist, was in diesem Jahrhundert und wohl auch in den vergangenen kein gleiches finden wird, ist meine wahre Meinung - und da irre ich nicht...«
Kühne Sätze. Bettine-Sätze.
Es wird sie sicher enttäuscht haben, daß ihre Söhne - besonders Siegmund, der zweitälteste - ihre Karriere gefährdet sehen wegen einer solchen »ungehörigen Veröffentlichung« der Mutter. Umgeschrieben oder geändert hat sie dennoch nicht ein Wort ihres Manuskriptes. »Goethes Briefwechsel mit einem Kind« ist ein Briefroman, in dem sie ihre wirklich geführte Korrespondenz mit Goethe überarbeitet und weitergedichtet hat. Sie hat Erinnerung und Phantasie miteinander verwoben, wenn sie ihr Zusammensein mit Goethe schildert. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß Briefe eine Kunstform waren, in der sich insbesondere Frauen übten. Briefe richteten sich an einen bestimmten Adressaten, gleichzeitig aber auch an eine literarische Öffentlichkeit. Von Bettina von Arnim erscheinen in den folgenden Jahren weitere Briefromane: »Die Günderrode« (1840) basiert auf dem Briefwechsel, den sie mit ihrer Jugendfreundin geführt hat. »Clemens Brentanos Frühlingskranz« (1844) enthält den Gedankenaustausch zwischen den Geschwistern Clemens und Bettine Brentano. Hier soll, um einen kleinen Eindruck von Bettines lebhaftem Erzählstil zu vermitteln, eine Stelle aus dem »Frühlingskranz« folgen:
»Es ist wahr, Clemens, in mir ist ein Tummelplatz von Gesichten, alle Natur weit ausgebreitet, die überschwenglich blüht in vollen Pulsschlägen, und das Morgenrot scheint mir in die Seele und beleuchtet alles. Wenn ich die Augen zudrücke mit beiden Daumen und stütze den Kopf auf, dann zieht diese große Naturwelt an mir vorüber, was mich ganz trunken macht. Der Himmel dreht sich langsam, mit Sternbildern bedeckt, die vorüberziehen; und Blumenbäume, die den Teppich der Luft mit Farbenstrahlen durchschießen. Gibt es wohl ein Land, wo dies alles wirklich ist? Und seh ich da hinüber in andre Weltgegenden?«
Zu Bettines Spätwerk gehören die beiden Bände ihres »Königsbuchs«. Der erste Band, dessen Titel die Widmung enthält »Dies Buch gehört dem König« war adressiert an den Bettine bekannten Kronprinzen, der 1840 König wurde (Friedrich Wilhelm IV.). Er galt damals (noch) als liberaler König. Bettine läßt in ihrem Buch Goethes Mutter, die Frau Rat, Wahrheiten aussprechen, die sehr viel weiter reichen als eine Kritik des feudalen Staates. Die Frau Rat zum Beispiel »hält den Staat für den größten, ja für den einzigen Verbrecher am Verbrechen«.
Im Brief, mit dem Bettine das »Königsbuch« an Friedrich Wilhelm IV. schickt, steht: »Du mußt Dein Bürgertum auslösen.« Der König soll erster Bürger einer Gemeinschaft von Bürgern sein und mit ihnen den Staat erschaffen, in dem sie leben wollen. Daß eine Frau ihrer Herkunft solche Gedanken veröffentlichte, war absolut neu.
Als Bettines zweiter Band des »Königsbuchs« erscheint (»Gespräche mit Dämonen«, 1852), wird sie als »Communistin« beschimpft - in Bayern und Österreich wird das »Königsbuch« verboten.
Bettine von Arnim ist eine Frau geworden, die im öffentlichen Blickfeld steht. In den letzten Jahrzehnten ihres Lebens kämpft sie - unerschrocken, aber nie verbittert - gegen polizeiliche Bevormundung, gegen Not und Ungerechtigkeit, setzt sich für die Juden ein, für die schlesischen Weber und wehrt sich gegen fast jede Form von Unterdrückung. »Fast« darum: Gegen die Unterdrückung »der Frauen« wendet sie sich nicht. Nur gegen ihre eigene. Sobald jemand sie einengen oder maßregeln will, begehrt sie auf. Als »Kobold Bettine« (auch als Erwachsene blieb ihr dieses Klischee) nimmt sie eine Sonderstellung ein. Vielleicht ist die französische Schriftstellerin George Sand ihr von allen Zeitgenossinnen am ähnlichsten. Mit ihr wollte sie auch Kontakt aufnehmen. Sie schickte ihr die französische Übersetzung ihres Goethe-Briefromans. George Sand war begeistert von der Lektüre und antwortete umgehend. Doch ihr Brief wurde von der Polizei abgefangen und geöffnet. Man witterte »gefährliche Tendenzen« in der Korrespondenz der beiden Schriftstellerinnen.
Wann ist Bettine von Arnim, die fast vierundsiebzig Jahre alt wurde, eigentlich »alt« geworden? Alt - wenn damit Müdesein und Resignieren gemeint ist - wurde sie nie. Jacob Grimm spricht von ihr als der »alten, immer jungen Bettine«.
»Wär ich auf dem Thron, so wollt ich die Welt mit lachendem Mut umwälzen«, steht in ihrem Briefroman »Die Günderrode«. Alle ihre Texte, und gerade auch die Briefromane, strahlen das aus: Bettine von Arnim lebte und schrieb mit »lachendem Mut«.
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